(Eine „Begegnung der dritten Art“ ist eine Begegnung mit einem unbekannten Flugobjekt und dessen Insassen:-))

Die Begegnung:

Auf dem Weg zu einem Interspar in meiner Nähe saß seit meiner Zeit in Wien beinahe jeden Tag, Montag bis Samstag, ein Mann auf einem Fahrradständer, bettelnd, ungepflegt, der Kopf geneigt – vor sich hin murmelnd.

Dieser Platz schien sein Zuhause – ich wunderte mich manchmal, ob er dort auch schlief – er war einfach immer da.

Ich dachte, ich wäre freundlich zu ihm, gab ihm hie und da ein wenig Geld – aber ich beobachtete an mir, dass Etwas in mir ihn nicht mochte:

Seinen Geruch, seine Verwahrlosung, diese zusammengesunkene dunkle Gestalt, den immer gleichen Singsang seines Bettelns und seines „Dankeschöns“ – die Abwertung seiner menschlichen Existenz. Ich mochte ihn nicht wirklich sehen.

Eines Tages – zur Hauptzeit der Corona-Krise – war er verschwunden. Ich wunderte mich, schaute nach ihm aus. Schließlich machte ich mir Sorgen um ihn. Eines Tages war ich sicher, er würde nie wieder auf diesem Platz zu finden sein. Er sei schwerkrank oder gestorben.

Und – ein Erstaunen – ich war nicht erleichtert, dass der Platz nun „sauber“ war, der Fahrradständer leer, kein „Hindernis“, keine sichtbare Armut, kein hilfloses, an mich appellierendes Sein.

Er fehlte mir – irgendwie – da war eine Leerstelle, wo er immer gesessen war. Ich erkannte auf einer tiefen Schicht, dass er dazugehört. Teil meines Lebens, meiner Erfahrungen ist. Wichtig, sein Dasein von Bedeutung. Dass er Bewusstsein über Armut und Reichtum hinzufügt – und über die Ebenbürtigkeit von uns Menschen. Eine Möglichkeit für Offenheit und Freigebigkeit.

Ich versprach mir, ich würde ihm, wenn er je wiederkäme, ein besonderes Geschenk machen, Zigaretten, Bier, Geld.

Und – unglaublich! Vor drei Tagen war er wieder da!! Ich freute mich sehr, ging auf ihn zu, sagte ihm, wie sehr er mir gefehlt hätte, wechselte ein paar Worte – und lächelte ihn wirklich an. Ich gab ihm wesentlich mehr Geld als sonst – von Herzen, aus Freude.

Die Offenheit seiner Augen berührte mich. Er unterbrach sein Ritual, seine Unterwürfigkeit für einen Moment, blickte auf. Ich sah ihn und er sah mich. Ein wenig glaube ich, er dachte, ich sei verrückt geworden. Eine abnormale Begegnung, eine „Begegnung der dritten Art.“

Und ich erkannte, dass wir einander „typischerweise“ als „unbekannte Flugobjekte“ begegneten, die aneinander vorbeiflogen, unberührt, aus anderen Universen – meint Identitäten.

Titel: Der „Bettler“ und die „Wohltätige Wohlhabende Frau“. 

Und – wir begegneten einander das erste Mal wirklich. 

Ich kenne die Geschichte dieses Menschen nicht, seine Ängste, seine Träume, seine Verletzungen. Ich weiß nicht, was ihn zum Bettler machte und macht.

Ich weiß nur, dass er mich etwas sehr Schönes, Zärtliches gelehrt hat.

Dass solche Begegnungen in Zukunft Begegnungen der gleichen Art sein werden – gleich menschlich, gleich verwundbar, gleich ängstlich, gleich verkrustet oder gleich offen. Einfach Mensch begegnet Mensch. Die Andersartigkeit Vielfalt der gelebten Form. 

Im Kern dasselbe atmende Wesen. Lebendiges Leben – Jetzt.

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