Ich stehe an der Bushaltestelle in der Nähe meines Zuhauses. Es ist kalt, ein wenig grau – und ich bin köstlich gestimmt – einfach so. Ich lächle einem Herrn zu, der frierend mit seinem Fahrrad an der Haltestelle steht. Er ist ein wenig dunkelhäutig – bärtig – und scheint unser Wetter im Winter als besonders kalt zu erleben. Er lächelt – fast erleichtert – zurück. Das Rad leuchtet gelb.

Plötzlich stürmt ein chinesischer Mitmensch über die Straße, augenscheinlich ein Tourist – auf diesen Herrn zu! Er lächelt ihn auch an, spricht ein paar Worte chinesisch, hebt überraschend schnell das Fahrrad einfach hoch und deutet begeistert an, wie schwer es ist – er spricht mit Händen und Füßen.

Der Herr mit dem Fahrrad – ich nenne ihn nun einfach so – ist völlig irritiert und kann sich fast nicht bewegen. Er sieht aus wie gefroren.

Dann schwingt sich der chinesische Mann in einem weiteren Moment auf das Fahrrad – schnell, urvertraut, ein guter Radfahrer – und fährt ein paar Meter den Gehsteig entlang.

Der „Besitzer“ ist nun völlig perplex, läuft neben dem Fahrrad her, ruft „Halt!“ und hält es schon nach etwa 15 Metern an. Er ist sehr sehr aufgeregt, bleich und aus der Fassung – beinahe wütend. Sein Gesicht eine Maske der Gespanntheit, sein Körper starr.

Der Chinese steigt ab, lacht, klopft dem bärtigen Herrn auf die Schulter, deutet auf das Fahrrad und zeigt ihm mit dem Daumen, dass es hervorragend sei. Er winkt seiner Frau, die nun ebenfalls Teil der Gruppe um das Fahrrad wird. Sie fotografiert Ihren Mann, das Fahrrad, uns Alle und ist ebenfalls begeistert.

Der bärtige Herr sagt nun erleichtert, wieder entspannt so etwas wie: “Ich, Chile!“ und der Chinese sagt so etwas wie “Ich, China!“, Beide umarmen einander, noch ein Victory – Zeichen, ein Winken – und der „Besucher“ und seine Frau laufen zurück über die Straße zu ihren Freunden. Sie lachen, sprechen aufgeregt, teilen sich einander mit.

Der Chilene wendet sich – beinahe entschuldigend – nun an mich:

“Ich stamme aus Südamerika, aus Chile. In unserem Stadtviertel hätte man das Fahrrad nun sicher gestohlen – er wollte es nur ausprobieren – das war unglaublich!“

Ja, unglaublich, wie wir – aus verschiedenen Ländern stammend – verschiedene Verhaltensweisen, Vorstellungen, Ideen über „die Anderen“ haben. Wir sind mit Vorurteilen, Konzepten, einem starren Mind-Set versehen und interpretieren die Welt entsprechend.

Und im wahrsten Sinne des Wortes Wunder-voll, wie echtes Lächeln, Anerkennen, ein paar Berührungen – ein auf die Schulter Klopfen, Versuche der Kommunikation, Freundlichkeit Alles wandeln können! Der Chilene sieht sein Fahrrad nun mit anderen Augen.

Ich steige – noch lächelnd, erfüllt in den Bus – grüße den Busfahrer, der sich wundert:-).

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